Prolog - Neuanfänge

Man sagt, aller Anfang sei schwer. Im Laufe meines Lebens und meiner Schreibausbildung habe ich diesen Satz mehr als einmal gehört. Doch ich bin anderer Meinung. Etwas zu beginnen oder den ersten Absatz zu füllen hat für mich nie ein Problem dargestellt. Jeder kann einen Stift in die Hand nehmen, fünf Meter joggen oder ein Sprachbuch aufschlagen. Am zweite Tag aufzutauchen, um genau dasselbe zu versuchen, ist schwieriger. Denn wenn die Muskeln brennen, Spanisch wie Sanskrit aussieht oder der Text von vorn geschrieben werden muss, ist es hart, sich zu motivieren. Der zweite Schritt erscheint mir deshalb herausfordernder. Ebenso wie der Dritte, der Vierte und alle die daraufkommen.

Als Schriftstellerin birgt jeder Tag einen neuen Anfang: Anfänge nach dem Anfang, die man nicht mehr dazuzählen kann, weil sie bereits Teil der Reise sind … Manchmal ist es hart, ein Projekt über Wochen oder Monate voranzutreiben. Seine Ziele und Wünsche zu verfolgen bedarf einer Hingabe, die über Disziplin hinausgeht. Ein langer Atem und Starrsinn können vom Vorteil sein, aber was es wirklich braucht, ist Überzeugung: Überzeugung, die aus dem Inneren stammt. Aus diesem Grund gab es in meinem Leben wenig, was mich konstant begleitet hat. Nicht, weil die Dinge mich nicht begeistern, sondern weil sie es nicht lange genug tun. Vielleicht liegt es an der Sprunghaftigkeit meines Sternzeichens Schütze, das schnell dabei ist, Neues auszuprobieren und in die Welt zu ziehen. Manchmal so schnell, dass es schwerfällt, den Umständen die Zeit zu geben, die sie benötigen. Wo andere den nächsten Schritt machen, sehe ich unendliche Möglichkeiten. Prioritäten zu setzen fällt mir deshalb nicht leicht. Doch es gibt eine Sache, die mich inzwischen länger begleitet als sonst etwas: Fantasie.

Das Tolle am Autorinnenjob ist, dass man alles sein kann. In einem Moment schlüpfe ich in die Rolle einer säbelschwingenden Abenteuerheldin und im nächsten beschäftige ich mich mit Quantenphysik. Vielleicht beende ich heute ein Wüstenmärchen, um morgen eine fremde Welt zu erschaffen. Wenn ich die Augen schließe, erblicke ich grenzenloses Potenzial: verlorene Schätze in Tempelruinen, postapokalyptische Gesellschaften, Schneegestöber in Winternächten und jede Menge Magie. Fast kann ich die Hitze der Serengeti spüren, das Salz des Mittelmeeres schmecken oder das Flüstern vergangener Zivilisationen durch den Äther hören. Ich kann das Universum bereisen, ohne den Raum zu verlassen und Planeten erforschen mit Stift und Papier.

Wenn ich Schreiben mit etwas vergleichen müsste, würde ich demnach sagen träumen. Schreiben ist wie Träumen, nur kontrollierter. Alles ist möglich. Fantasie bedeutet für mich deshalb Freiheit. Sie ist meine Zuflucht und zugleich Quelle der Hoffnung. Sie ist ein Teil von mir, ebenso wie unzählige Ideen, die darauf drängen, verwirklicht zu werden. Die meiste Zeit über kann ich es darum kaum erwarten, meine Projekte umzusetzen. Es war immer mein Traum, andere mit Texten zu berühren und sie zum Lachen zu bringen. Doch zum ersten Mal habe ich Angst, ein neues Kapitel zu beginnen. Und zum ersten Mal fällt mir das Anfangen schwer. Denn dies ist nicht die Story einer meiner Protagonisten. Dies ist meine Geschichte …


Kapitel 1 - Der Traum

Ich erinnere mich an meinen ersten Romanversuch, als wäre es gestern gewesen. Ich war damals acht, hatte noch weniger Ahnung von Sprache als heute und brannte darauf, eine Geschichte zu erschaffen. Sie begann mit den Worten: „Es war eine kühle, klare Nacht. Die Sterne funkelten und glitzerten am Himmel.“ Dass man „glitzern“ mit „tz“ schreibt, war egal. Ebenso, dass ich keinen Schimmer hatte, was ich erzählen wollte. Ein Buch sollte es werden, so viel stand fest. Und die Menschen würden es lieben wie ich Harry Potter.

Knapp 15 Jahre sind seither vergangen, aber viel verändert hat sich nicht. Die meisten meiner Handlungen beginnen immer noch planlos. „Planlos geht der Plan los“, steht in meiner Abi-Zeitschrift und diesem Motto bin ich treugeblieben. Zumindest was das Schreiben angeht. Es gibt Autoren, die Konzepte erstellen und Monate an Handlungen oder Plot-Twists arbeiten. Ich schreibe einfach darauf los. Ich fange an und sehe, wo die Worte mich hinführen. Probleme werden unterwegs gelöst, Charaktere nach und nach kennengelernt. Wenn ich eine Geschichte entwickle, ist es, als würde ich sie zum ersten Mal lesen. Und ich schätze, das ist ihr Sinn.

Als Kind habe ich den Glitzerstift in die Hand genommen, weil mir die Welten meiner Vorbilder nicht ausreichend erschienen. Ich wollte eigene kreieren und selbst bestimmen, was passiert. Ich wollte träumen: noch größer, noch zauberhafter, viel unglaublicher. Ich wollte nach den Sternen greifen und die Tiefen des Ozeans erforschen. Also schrieb ich Geschichten. Geschichten über Abenteuer, Magie, Gut gegen Böse und Helden.

Doch es gab einen weiteren Grund, weshalb ich Nachmittage verbringen konnte, Seiten zu füllen. Als Schriftsteller sollte man zu seinen Figuren Distanz wahren, aber meine Hauptpersonen gaben mir die Chance, alles zu sein: Piratin, Hexe, Pferdemädchen. Magisch, furchtlos, ehrenhaft. Meine Welten vermittelten mir das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Und es gab Momente, da glaubte ich, die Worte würden ihren Seiten entspringen und eines Tages Wirklichkeit werden. Es war eine großartige Zeit, geprägt von Optimismus und Zuversicht. Aber nicht einmal Fantasie vermag die Realität zu verdrängen. Und das Leben kann herausfordernd sein. Vor allem, wenn man Träume hat.

Ich denke, wir alle haben irgendwann einmal das Gefühl, nicht gut genug zu sein. Als Menschen lernen wir früh, uns mit anderen zu vergleichen. Wir werden bewertet und beurteilt. In der Schule sind wir angehalten, uns mit anderen zu messen, denn es gibt nur eine Nummer Eins. Und was soll ich sagen? – Ich war sie nicht. Es gibt viele Personen, denen ich im Nachhinein einiges raten würde, aber der springende Punkt ist, dass weder Worte noch Noten oder Meinungen mich von meinen Wünschen abbringen konnten. Jedes Mal, wenn mir suggeriert wurde, ich könnte nicht schreiben, würde es nie schaffen, Autorin sei kein Beruf oder ich sei naiv, wuchs meine Entschlossenheit. Jeder Rückschlag schürte mein Feuer und jede Enttäuschung ließ mich härter kämpfen. Denn eines war mir immer klar: Ich wollte Autorin werden. Und ich würde es sein. Und wenn es das Letzte war, was ich tat …


Kapitel 2 - Ein Brief

Ich möchte nicht lügen. Es ist nicht so, als hätte ich nie gezweifelt. Tatsächlich kann ich mich kaum an eine Zeit erinnern, in der ich nicht gezweifelt habe. Mit acht war ich von meiner Geschichte überzeugt. Jedes Mal, wenn ich einen „Bestseller“ begann, konnte ich es kaum erwarten, in die Handlung einzutauchen. Aber zwischen Prolog und Epilog liegt ein weiter Weg. Und das Leben passiert, wie man so schön sagt. Heute würde ich mich als Optimistin bezeichnen, aber das war eine lange Reise. Sie begann mit Selbsthass, Trauer und einer Menge Schmerz. Es gab Momente, da war ich verwirrt, zornig und verzweifelt. Da waren Verpflichtungen, denen ich nicht gerecht wurde, Anforderungen, die ich nicht erfüllen konnte, Personen, die mich gerne anders gehabt hätten, gesellschaftliche Zwänge …

Sich selbst zu finden ist eine Lebensaufgabe. Der inneren Stimme zu folgen und auf die eigenen Fähigkeiten zu vertrauen, kann hart sein. Vor allem, wenn man unsicher ist und die Meinungen anderer über seine eigene stellt. Es ist schwer, an sich zu glauben, wenn einen skeptische Blicke aus dem Konzept bringen. Mehr als einmal wurde ich gefragt: „Was bist du im richtigen Leben? Wie willst du dein Geld verdienen? Hast du an die Zukunft gedacht?“ Die Antworten lauten: „Autorin. Keine Ahnung.“ Und: „Ja, verdammt, natürlich!“

Oft habe ich überlegt, was die Leute sich denken? Dass ich mir nie Sorgen mache? Dass ich nicht manchmal nachts das Fenster öffne, weil ich das Gefühl habe zu ersticken? Die Angst begleitet mich bereits sehr lange, aber sie ist ein schlechter Berater. Deshalb habe ich beschlossen, ihr nicht mehr zuzuhören. Das Schreiben hilft mir zu differenzieren. Und es hat mir geholfen, mich für das zu entscheiden, was ich wirklich will …

Alles begann mit einem Brief. 2019 hatte ich gerade mein Studium geschmissen, zum ersten Mal im Leben etwas abgebrochen und war ganz unten angekommen. Nicht, weil ich Fachjournalistik Geschichte oder Gießen hinterhergetrauert hätte, sondern weil ich mir nicht vorstellen konnte, wie es weitergehen sollte. Krankheit, das Gefühl versagt zu haben und Themen der Vergangenheit war zu dieser Zeit sehr präsent. Also entschied ich, einen Brief an meinen Lieblingsautor zu schreiben. Da mein Englisch ausbaufähig ist, habe ich fünf Tage gebraucht, aber es war das Erste, was sich seit langem richtig angefühlt hat.

Was ich mir erhoffte, war, dass jemand mir sagte: „Lebe deinen Traum! Tu, was dich glücklich macht! Glaub an dich!“ Natürlich hat es drei Jahre gedauert, bis ich eine Antwort erhalten habe, sodass es gut ist, dass ich mein Glück nicht davon abhängig gemacht habe. Wichtiger allerdings ist, dass mir durch diese Zeilen bewusst wurde, warum ich tun wollte, was ich wollte. Also traf ich Entscheidungen. Und zum ersten Mal waren es meine eigenen …


Kapitel 3 - Entscheidungen und Hoffnung

„Wer bin ich? Wer möchte ich sein? Was will ich vom Leben und was brauche ich, um glücklich zu sein?“ Diese Fragen begleiten mich nun bereits seit fünf Jahren. Mehr als einmal war ich überzeugt, Antworten gefunden zu haben, doch wie sich herausgestellt hat, wandeln sie sich, sobald ich mich verändere.

2019 hatte ich eine ziemlich genaue Vorstellung, wer ich war und wusste, dass ich gerne das Gegenteil gewesen wäre. Was ich mir wünschte, schien schwieriger. Dabei lag die Lösung auf der Hand. Ich wusste, was ich nicht wollte, demnach blieb kaum Auswahl. Schreiben war das Einzige, was ich hatte und was ich glaubte, einigermaßen zu können. Ich hatte keine andere Möglichkeit, als mich für meinen Traum zu entscheiden. Zumindest nicht, wenn ich glücklich sein wollte.

Aller Vernunft zum Trotz beschloss ich deshalb meiner inneren Stimme zu vertrauen – oder ihr zumindest eine Chance zu geben. Denn schlimmer konnte es in meinen Augen kaum werden. Doch da gab es diese Geschichte, die ich mit fünfzehn begonnen hatte und die ich um jeden Preis beenden wollte. Eine Geschichte, in der ich bis heute Potenzial sehe und die – obwohl bereits zwei Mal fertiggeschrieben – mein nächstes Projekt wird. Diese Story gab mir Halt, sodass ich mir schwor, sie groß rauszubringen.

Was ich zu dieser Zeit wirklich wollte, war meine eigene Welt erschaffen und Menschen berühren wie meine Lieblingsautoren mich berührt hatten. Bis heute versuche ich mir klarzumachen, dass ich schreibe, weil es mich glücklich macht, andere mit meinen Texten zu erreichen. Ich hoffe ihre Welt damit ein wenig heller zu machen. Damit sie wieder glauben, dass alles möglich ist. Denn das ist es, auch wenn ich damals weit davon entfernt war, das selbst zu verstehen.

Mein nächster Schritt war also mir Zeit zu erkaufen. Und das im wahrsten Sinne des Wortes: Ich begann ein Fernstudium zur Autorin, vielmehr um Behörden und mein Umfeld ruhigzustellen, als dass ich Gedichten oder Kurzgeschichten hätte schreiben wollen. Mir war immer klar, dass ich Romane veröffentlichen will. Trotzdem habe ich während meiner Ausbildung gelernt, dass es sinnvoll sein kann, über den Tellerrand hinauszuschauen und den eigenen Horizont zu erweitern. Nicht nur, um sich weiterzubilden, sondern auch, um neue Wege zu gehen. Hätte ich mich nicht auf meinen Lehrgang eingelassen, hätte ich nie herausgefunden, dass es Ausschreibungen im Internet gibt, die Texte unbekannter Schriftsteller suchen. Und hätte ich Prosa oder Lyrik keine Chance gegeben, hätte ich nie einen Förderpreis gewonnen oder Teil von Anthologie-Projekten werden dürfen. Weder hätte ich all diese netten Menschen kennengelernt, noch verstanden, dass ich vielleicht gar nicht so falschlag. Vielleicht, ja nur vielleicht, hatte ich Potenzial, Autorin zu werden. Und womöglich war ich es bereits …


Kapitel 4 - Leben in Ungewissheit

Wer ist Schriftsteller und wer nicht? Die Berufsbezeichnung „Autor“ ist kein geschützter Begriff. Jeder Trottel kann sich „Journalist“ nennen, was ich eine Zeit lang getan habe. An meiner Wand hängt ein Zertifikat, aber was sagt das über mich aus, abgesehen davon, dass ich eine Menge Geld in die Hand genommen habe?

Von welchem Moment an bin ich Autorin? Wenn ich mein erstes Buch in den Händen halte oder es in einer Buchhandlung wiederfinde? Wenn ich auf einer Messe daraus vorlese? Lange bin ich zurückgeschreckt, zu erzählen, was ich tatsächlich mache. Denn Schreiben scheint in unserer modernen Gesellschaft bestenfalls ein Hobby. Die Worte „brotlose Kunst“ stehen oft im Raum, was erstaunlich ist, wenn man bedenkt, dass Schreiber in der Vergangenheit angesehene Leute waren. Doch in einer Welt, in der die meisten Menschen der schriftlichen Sprache mächtig sind, scheint das Verfassen von Texten kaum von Bedeutung. Eine Menge Leute sind dazu fähig. Herauszustechen ist deshalb schwierig.

Ich habe einmal gehört, um erfolgreich zu veröffentlichen, bedürfe es einer guten Portion Glück, ein Prozent Talent und der Rest sei Arbeit, Disziplin und Übung. Für mich hört sich das wenig spaßig an. Kreativität lenken und in eine Form zwängen? Ist das wirklich richtig? Und ist es verwerflich, seine Leidenschaft zur Berufung zu machen? Nein, doch es ist schwierig, etwas zu sein, dessen Handwerk man nicht erlernen kann. Für das Erfinden von Geschichten gibt es kein Patentrezept. Man muss seine eigenen Wege gehen. Und ich spreche aus Erfahrung …

Über Monate war ich eine Autorin ohne Buch, Journalistin ohne Anstellung und Bloggerin ohne Website. Viel vorzuweisen hatte ich nicht, mit Ausnahme von begonnenen Geschichten auf meinem Laptop, einem Ordner voller Ideen und jeder Menge Entschlossenheit. Trotzdem war es anfangs schwer, mich als Schriftstellerin vorzustellen. Denn wo konnte man meine Texte finden? – nirgends. Wo meine Bücher kaufen? – in der Zukunft …

Mehr als einmal habe ich mich gefühlt wie eine Hochstaplerin. Rückblickend würde ich sagen: Ich war immer Autorin. Ich war es mit acht, als ich beschloss, meinen Glitzerstift in die Hand zu nehmen und mit fünfzehn, als ich mein Herzensprojekt zum ersten Mal fertigschrieb. Ich war es, als ich mein Fernstudium begann oder mir Last-Minute-Geburtstagsgedichte für Familienmitglieder aus den Fingern sog. Während ich mich zwischen meinen eigenen Wörtern verlor, war ich, was ich immer sein wollte und auch als ich Zweifel in mein Tagebuch bannte. Auf jeden Fall bin ich es nicht erst, seit sich Erfolge eingestellte haben.

Jeder kreative Mensch ist meiner Ansicht nach ein Schöpfer. Unabhängig von äußerer Bestätigung oder Bewertungen wohnt künstlerischer Handlung ein Zauber inne. Ein Zauber, der nicht von Perfektion, sondern von Authentizität und echten Emotionen zeugt. Deshalb denke ich manchmal, dass meine Texte früher besser waren. Nicht vom handwerklichen Standpunkt betrachtet, aber aufrichtiger. Ungeschönter und näher an der Quelle meiner Fantasie. Denn wie sich herausgestellt hat, macht Wertschätzung allein nicht glücklich. Und tatsächlich kann sie Segen und Fluch sein …


Kapitel 5 - Von verschlossenen Türen und Starrsinn

Ich habe mein Leben lang für mich geschrieben. Natürlich habe ich mir gewünscht, dass meine Bücher irgendwann bei mir im Regal stehen, aber in erster Linie erfand ich Geschichten, weil es mir Spaß machte. Daran, wie die Schreibindustrie funktioniert, hatte ich bis zu meinem Fernstudium keinen Gedanken verschwendet. Vermutlich war dies der Grund, warum ich nachts ruhig schlafen konnte. Doch mit Beginn meiner Schreibausbildung bekam ich eine Idee, wie schwierig es werden könnte, meine Texte in die Buchhandlungen zu bekommen. In meiner Vorstellung war das leicht gewesen: Geschichte schreiben, einem Verlag schicken, der Rest läuft von selbst … Aber ganz so einfach schien es nicht. Offenbar hatten Kollegen, die länger in der Buchbranche aktiv waren als ich, Schwierigkeiten, einen Fuß in die richtigen Türen zu bekommen. Einer meiner Mentoren sagte mir, dass es unmöglich für eine unbekannte Autorin sei, bei einem großen Verlag unterzukommen. Natürlich traf mich das hart, doch zum Glück bin ich starrsinnig. Das Problem war also, dass niemand mich kannte? Dann würde ich dafür sorgen, dass sich das änderte …

Ich las von Ausschreibungen im Internet und entschied, so viele Erfahrungen wie möglich zu sammeln. Im Zuge dessen schrieb ich Kurzgeschichten, Gedichte, Essays und journalistische Beiträge. Ich zwang mich aus meiner Komfortzone, versuchte Initiativen zu ergreifen und meiner Furcht ins Gesicht zu blicken. Denn wieder ging es darum, aus der Menge herauszustechen. Darum sich zu behaupten, um sich einen Namen zu machen …

Das Erste, was ich mir allerdings klarmachen wollte, war, dass Absagen nicht das Ende bedeuten. Absagen gehören zum Schriftstellergewerbe wie Zucker und Koffein. In drei Jahren habe ich mehr als eine erhalten. Trotzdem bedeutet das nicht, dass meine Texte schlecht sind. Die Gründe für ein „Nein“ können vielfältig sein: die Geschichte passt nicht zum Thema, ist zu kurz oder zu lang, trifft nicht den Geschmack der Jury oder sprengt den Rahmen einer Anthologie … Umso schöner natürlich, wenn der eigene Beitrag ausgewählt wird, um abgedruckt zu werden. Gleichzeitig jedoch ist es beängstigend. Denn plötzlich können Menschen die Geschichte lesen und sich ein Urteil bilden. Plötzlich setzt man sich der Meinung einer bewertenden Öffentlichkeit aus. Und obwohl man bereits die Organisatoren der Ausschreibung begeistern konnte, fragt man sich: Ist das wirklich gut? Habe ich alles getan? Was, wenn meine Arbeit nicht überzeugt?


Kapitel 6 - Die Sache mit der Perfektion

Meine erste positive Rückmeldung war wichtig für mich. Es war im Dezember 2020, als ich einen Förderpreis beim „Eobanus-Hessus-Schreibwettberwerb“ gewann. „Wer hat Angst vor schwarzen Mann?“ war meine zweite selbstverfasste Kurzgeschichte. Ich hatte mich für das Thema Missbrauch entschieden, weil ich denke, dass man mit kurzen Texten Menschen schnell erreichen kann. Tatsächlich konnte ich damals kaum glauben, dass mein Beitrag ausgewählt wurde. Doch in den folgenden Jahren hatte ich das Glück, immer wieder in Anthologien oder im Internet veröffentlich zu dürfen. Trotzdem bin ich jedes Mal dankbar, wenn sich neue Chancen ergeben oder Türen sich öffnen. Zumindest versuche ich mir das bewusst zu machen. Denn mit dem Erfolg und dem Erreichen von Zielen ist das so eine Sache …

Natürlich ist es schön, die Früchte seiner Arbeit zu ernten. Es ist unglaublich zu wissen, dass andere schätzen, was man tut. Aber egal wie viel Bestätigung damit einhergeht, unabhängig davon, welche Preise man erhält oder wie viele Bücher man eines Tages im Regal stehen hat – das alles ist bedeutungslos, wenn man sich am Ende keine Anerkennung entgegenbringt.

Es heißt: dein härtester Kritiker bist du selbst. In meinem Fall bedeutet das, dass ich Texte, die einmal draußen sind, nie wieder anschauen kann. Die Lektorinnen, die mit mir zusammenarbeiten mussten, können bestätigen, dass das nicht einfach ist. Weil ich nie zufrieden bin. Zwar ist es unmöglich, perfekt zu sein, aber das hält mich nicht davon ab, es zu versuchen. Meine Ansprüche sind hoch. Womöglich habe ich Angst, nicht gut genug zu sein. Fakt ist, dass ich jedes Mal mehr will. Ich versuche aus all meinen Projekten das Beste herauszuholen und gebe deshalb manchmal zu viel. Vor allem in den letzten Monaten ist mir bewusst geworden, dass das nicht ist, wieso ich mit dem Schreiben begonnen habe. Wie kann etwas, das mir Freude gemacht hat, belastend sein? Und wieso muss ich mich zwingen, Seiten zu füllen, die sich vorher von selbst geschrieben haben? Die Antwort ist keine, die mir gefällt: weil ich mein „Warum“ aus den Augen verloren habe. Erfolg und erfolgreich sein müssen, sind ins Zentrum meines Schaffens gerückt. Einerseits, weil Referenzen einen Teil der Last von meinen Schultern nehmen, andererseits, weil mir klar ist, dass ich irgendwann von meiner Kunst leben können sollte. Deshalb habe ich all meine Kraft darauf verwendet, nicht länger „die unbekannte Autorin“ zu sein. Um meine Chancen bei einem großen Verlag zu erhöhen. Alles, außer mein Manuskript dort einzureichen …


Kapitel 7 - Imposter-Syndrom

Was bedeutet es, erfolgreich zu sein? Eine Menge Geld verdienen, internationale Bekanntheit und von vielen Menschen bejubelt werden? Vielleicht. Ich denke nicht, dass Ruhm etwas Schlechtes ist, aber er kann es sein, wenn er mit einem Preis einhergeht. Wir leben in einer Welt, in der es darum geht, höher, schneller, weiter zu kommen. Um den Anschluss zu halten, muss man in Bewegung bleiben. Deshalb folgen auf ein Ziel bereits das Nächste und das Übernächste …

Meine erste Zusage zu bekommen war überwältigend. Wahrscheinlich, weil ich bis zu diesem Zeitpunkt nicht wusste, ob irgendwer meine Texte lesen will. Doch schon bald meldeten sich garstige Stimmen: „So besonders war es nicht. Dich kennt trotzdem niemand. Ein einziger Glücksgriff ist bedeutungslos. Was ist der nächste Schritt?“ Also schrieb ich neue Geschichten und reichte sie bei Wettbewerben ein. Einige davon wurden abgedruckt, aber wirklich zufrieden stimmte mich das kaum. Natürlich war ich dankbar und irgendwie erleichtert, doch mir Woche für Woche Texte zu Ausschreibungsthemen oder für mein Fernstudium aus den Fingern zu saugen, machte mich nicht glücklich. Im Gegenteil. In den vergangenen Jahren habe ich viele verschiedene Beiträge verfasst, allerdings selten Zeit für meine Herzensprojekte gefunden. Dabei waren diese Geschichten, wofür ich alles andere auf mich genommen hatte. Hinzu kam die Furcht zu versagen oder beim nächsten Mal abgelehnt zu werden. Schließlich hing meine Zukunft davon ab, mir einen Namen zu machen. Oder etwa nicht?

Es ist leicht, sich in den Irrungen und Wirrungen der eigenen Gedanken und im Dschungel des Erfolges zu verlieren. Ehe man sich versieht, schreibt man nicht länger für sich, sondern weil bestimmte Texte vielversprechend erscheinen, genommen zu werden. So war ich nie ein Fan von Kurzgeschichten. Trotzdem habe ich inzwischen mehr als eine verfasst. Weil sich Bestätigung gut anfühlt und Anerkennung süchtig macht. Doch wenn Wertschätzung kaum noch bedeutsam erscheint, das Ausbleiben von positiven Rückmeldungen dafür jedoch umso mehr, wo liegt dann der Sinn?

Es hat eine Weile gedauert, bis ich verstanden habe, dass ich zwar tat, was ich glaubte tun zu wollen, aber eben nicht wirklich. Denn es ist ein Unterschied, etwas zu tun, weil man denkt, es tun zu müssen oder weil man es tatsächlich will.

Viele Monate habe ich verbissen an allem Möglichen geschrieben, getrieben vom Druck an meine Erfolge anzuknüpfen, um in den nächsten Jahren mit meiner Arbeit Geld zu verdienen. Antriebslosigkeit, Frustration und Sorge waren die Folge. Sehr oft war ich blockiert und Spaß empfand ich mit Sicherheit keinen. Weil ich schrieb, um zu gewinnen, um gegen die Konkurrenz anzukommen und um eine Chance auf dem Markt zu bekommen. Bis ich damit aufhörte …


Kapitel 8 - Der Weg zurück/zum Glück/zu mir

Ich möchte glücklich sein. An jedem einzelnen Tag meines Lebens. Im Umkehrschluss bedeutet das für mich alles, was dem nicht zuträglich ist, freizugeben. Weil meine Zeit auf diesem Planeten kostbar ist und ich meine Prioritäten gerne bewusst setze. Oft hat es mir dabei geholfen, mich zu fragen, was ich nicht will. In Bezug auf mein Autorinnendasein ist mir die Antwort inzwischen klar: Ich möchte keine Kurzgeschichten oder journalistischen Texte schreiben, weil ich das anstrengend finde und es mir keinen Spaß macht. Ich mag meine Ideen fantastisch und Gedichte lieber englisch. Kinder- und Jugendbücher faszinieren mich und auch ein Drehbuch oder Musical will ich eines Tages verwirklichen.

Der springende Punkt ist: Ich habe die Freiheit zu schreiben, was ich will. Egal, ob das Projekt am Ende Anerkennung findet oder ein Dokument auf meinem Laptop bleibt. Denn auch das ist mir bewusst geworden: Ich möchte nicht erfolgreich sein, weil ich meinen Lebensunterhalt verdienen muss, sondern weil ich es bin. Weil die Menschen meine Bücher lieben und ich mag, was ich tue. Auf den Druck, der mit einem professionellen Schriftstellerjob einhergeht, kann ich verzichten ebenso wie auf die kleinen und großen Kompromisse, die dieser Weg mit sich bringt.

In den vergangenen Jahren habe ich einiges für meinen Traum gegeben. Ich habe viel getan und das ein oder andere Opfer gebracht. Doch ein halbes Jahrzehnt ist eine lange Zeit und inzwischen kann ich aussprechen, was mir früher wie Blasphemie erschienen wäre: Schreiben ist nicht alles. Als sich dieser Gedanke das erste Mal aufdrängte, habe ich mich schuldig gefühlt, immerhin hatte ich Worten eine Menge zu verdanken. Aber nach und nach wurde mir klar, dass es okay ist, mehr als einen Sinn im Leben zu haben. Tatsächlich ist es gut, verschiedene Ziele zu verfolgen und legitim, sich nach mehr zu sehnen. Denn neue Möglichkeiten bedeuten nicht, etwas Bestehendes aufzugeben, sondern sich weiterzuentwickeln. Und wenn man den Mut besitzt, sich darauf einzulassen, kann man eine ganze Menge gewinnen …


Kapitel 9- Only the beginning

Hier stehe ich nun also. Am Anfang eines neuen Kapitels – und das im wörtliche wie übertragenen Sinne. In den letzten fünf Jahren ist eine Menge passiert. Ich blicke zurück auf eine Zeit voller Widersprüche, Ups und Downs, Glück und Tränen, Sorgen und Lachen. Es war nicht immer leicht, aber wessen Leben ist das schon? Trotzdem hängen an meiner Wand ein Autorenzertifikat und ein Förderpreis, in meinem Bücherregal stehen Anthologien und auch im Internet findet man inzwischen Beiträge und Bilder von mir. Nach wie vor fühlt sich vieles surreal an, doch ich habe Interviews gegeben, für ein Nachrichtenjournal gearbeitet, Dinge ausprobiert und noch mehr verworfen. Ich habe Fehler gemacht, mich verloren, bin gescheitert und wieder aufgestanden. Entgegen allen Widrigkeiten erscheint demnächst mein erstes Kinderbuch und dafür bin ich jeden Tag dankbar. Weil nichts davon selbstverständlich ist.

Tatsächlich hätte ich mir nie vorstellen können, dass ich irgendwann hier landen würde. Zwar war ich immer stur und naiv, aber es war eine weite Reise, die mich vor allem persönlich geprägt hat. Und sie ist nicht vorbei. Heute schreibe ich den vorerst letzten Beitrag für meine Website, von der ich bis vor wenigen Monaten nicht einmal wusste, dass sie existieren würde. Und morgen? Wer kann das schon sagen? Vielleicht erkunde ich Südamerika oder erklimme den Kilimandscharo. Das Leben ist voller Möglichkeiten, wenn man sich darauf einlässt. Deshalb bin ich inzwischen Fitnesstrainerin, im September einen Halbmarathon gelaufen oder springe vom Fünfmeterturm, wenn es sich ergibt. Aus diesem Grund war ich ohne Begleitung in Rom oder in einem Esoterikladen in Dublin.

Allein 2023 konnte ich eine Menge von meiner Bucket-Liste streichen und unfassbar tolle Menschen kennenlernen. Doch ich glaube nicht, dass es das schon war. Die Wege des Universums sind unergründlich und manchmal hat es Unglaubliches im Sinn. Wenn mir die vergangenen Monate eines gezeigt haben, dann, dass alles möglich ist. Darum ist es okay, groß zu träumen und unter Sternen tanzen zu wollen. Also hoffe ich, dass mein jüngeres Ich stolz auf mich wäre. Darauf, dass ich das Wagnis eingegangen bin und mich der Ungewissheit hingegeben habe. Zwar weiß ich nicht, was die Zukunft bereithält, doch einem bin ich mir sicher: Dies ist erst der Anfang. Der Anfang von etwas Großartigem …


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